2. Januar 2020

„Eine Alternative bieten zu einem bloßen Weiter so“

Jahresinterview mit Monika Pfriender, Landratskandidatin der Grünen und Sprecherin der Kreistagsfraktion

02.01.2020 | Monika Pfriender

Quelle ANA

Frau Pfriender, in der Rückschau: War 2019 ein gutes Jahr für den Landkreis Altötting?
Das Jahr 2019 war für den Landkreis insgesamt ein gutes Jahr, weil es gelungen ist, endlich wichtige Entwicklungen voranzubringen, wozu beispielsweise die Ökomodellregion zählt. Außerdem bewegt sich etwas im Bereich des Verkehrs, denn der Kreistag hat dem Antrag der Grünen zugestimmt und zukunftsweisende Weichen für den Öffentlichen Nahverkehr im Landkreis Altötting gestellt. Auf der anderen Seite werden leider auch jahrelange Versäumnisse und verschleppte Risiken deutlich, wie das PFOA im Boden und Trinkwasser zeigt. Darum geht es nicht nur um das Jahr 2019, sondern um die längerfristige Betrachtung des Landkreises, und dabei zeigt sich, dass viele Dinge nur auf die lange Bank geschoben werden.

Bestimmendes Thema der zweiten Jahreshälfte war die Klinikfusion mit Mühldorf. Sie haben dagegen gestimmt, unter anderem wegen des Zeitplans. Was stört Sie daran?
Wir haben uns diese Entscheidung mit Sicherheit nicht leicht gemacht. Wir wollen ganz klar festhalten, dass wir nicht aus Prinzip gegen die Klinikfusion sind und durchaus das langfristige positive Potenzial der Fusion und vor allem deren Notwendigkeit im Hinblick auf die übergeordneten Entwicklungen im Gesundheitssystem und Krankenhauswesen sehen. Wir haben uns als Kreistagsfraktion aber aus politischer Verantwortung für die zukünftige Entwicklung unserer Kreiskliniken gegen eine Fusion nach dem gegenwärtigem Verhandlungsstand entschieden. Die bereits bekannten inhaltlichen Kritikpunkte und vor allem die Bedenken im Hinblick auf den übereilten und unausgereiften Zeitplan und die damit verbundenen unkalkulierbaren finanziellen Risiken ließen für uns letztlich keine andere Entscheidung zu.

Auch das Medizinkonzept überzeugt Sie nicht? Warum? Wurden Altöttinger Interessen verkauft?
Eine erfolgreiche Fusion setzt eine konsequente Bündelung vorhandener Synergien, den Abbau von Doppelvorhaltungen und eine langfristige tragfähige Neuausrichtung im Hinblick auf die Herausforderungen der Zukunft voraus. Der einseitige Fokus auf Bettenkapazitäten und den stationären Sektor tragen den Entwicklungen der modernen Medizin mit zunehmender Bedeutung der ambulanten Versorgung und der zunehmenden Zentralisierung und Spezialisierung im deutschen Krankenhauswesen nicht in adäquater Weise Rechnung. Auch die Parität im neuen Verwaltungsrat ist sicherlich als wesentlicher Nachteil für die Standorte unseres Landkreises zu werten. Wir bemängeln darüber hinaus die bislang fehlende Transparenz gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kreiskliniken Altötting-Burghausen insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen einer Fusion in der Regel üblichen Einsparungen bei den Personalkosten.

Kritisch sehen Sie auch das Potenzial des Defizitabbaus. Welche Befürchtungen haben Sie?
Finanzielle Risikenbei der KlinikfusionRisikofaktoren stellen die drohende Rückzahlung von Zuschüssen an den Freistaat aufgrund der Verlagerung der Urologie nach Mühldorf dar. Auch die Medizinischen Versorgungszentren und deren Defizite sind unkalkulierbare Größen in der Zukunft, und letzten Endes fehlen derzeit umfängliche und verlässliche Wirtschaftlichkeitsberechnungen im neu gegründeten gemeinsamen Kommunalunternehmen. Die Defizitausgleiche für die Kliniken belasten unseren Kreishaushalt in den kommenden Jahren erheblich. Neben weiteren Zukunftsinvestitionen in die Schulen des Landkreises sowie die dringend nötige Landratsamtserweiterung wird die angespannte finanzielle Situation nur durch eine deutliche Anhebung der Kreisumlage zu bewältigen sein.

Von den Befürwortern der Fusion wird Ihnen unter anderem Wahlkampfgetöse vorgeworfen. Werden Sie als Landratskandidatin die Klinik-Karte spielen?
Diesen Vorwurf weisen wir entschieden zurück. Wahlkampf macht die CSU zusammen mit dem Landrat, wenn sie ohne Not auf den letzten Drücker vor der Kreistagswahl noch schnell eine unzureichend vorbereitete Klinikfusion durchsetzt und wichtige Fragen auf die Zukunft abwälzt. In der Kreistagssitzung die noch offenen Fragen zur Fusion anzusprechen ist keine Angelegenheit des Wahlkampfs, sondern eher die Pflicht dieses gewählten Kreisgremiums, genau genommen aller Fraktionen. Im Übrigen wurden die Fragen trotz der öffentlichen Thematisierung von Seiten des Landrats noch immer nicht beantwortet. Der Vorwurf des Wahlkampfes ist also eher eine reine Ablenkung von den eigenen Absichten.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie in den Kommunalwahlkampf – persönlich und für Ihre Partei?
Die Grünen setzen ganz klar auf Sachthemen und spürbare Verbesserungen für die Bevölkerung und können damit im Wahlkampf nicht nur kurzfristig auf Effekte setzen, sondern langfristig angelegte Diskussionen anstoßen. Dieses Ziel steht im Vordergrund; aber natürlich freuen wir uns über eine wachsende Zustimmung im Landkreis. Persönlich ist für mich wichtig, all jenen eine Alternative anzubieten, die nicht mehr auf ein bloßes ,Weiter so‘ setzen, sondern offen sind für eine positive Veränderung.

Wieder zurück zur aktuellen Kreispolitik. Viele Investitionen sind durch Grundsatzbeschlüsse auf den Weg gebracht. Welches sind Ihre Prioritäten?
Die wichtigsten Investitionen sind fraglos die Verbesserungen in den Schulen, wobei hier ein rascheres Vorgehen stattfinden muss. Daneben sind die Investitionen in eine qualitativ bessere, gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung und zwar im gesamten Landkreis. Für die Zukunft sollten darüber hinaus mehr Unterstützungen für soziale Träger und kulturelle Belange erfolgen. Ein neues Landratsamt kann hier seinen Platz haben und wird durch die eingesetzte Steuerungsgruppe begleitet.

Teilen Sie die Befürchtungen, dass dem Landkreis das Geld ausgehen könnte? Dunkle Wolken am Konjunkturhimmel gibt es zweifelsohne…
Dem Landkreis Altötting wird sicher im eigentlichen Sinn nicht das Geld ausgehen, denn im derzeitigen Zinsumfeld sind einzelne Kreditaufnahmen möglich, die allerdings trotz Niedrigzins genau überlegt werden müssten. Konjunkturschwankungen gab es bereits früher, wie auch die Finanzkrise von 2008/2009 zeigt, aber natürlich ist es wichtig, darauf mit Sachverstand und klaren Abwägungen zu reagieren. Hier sind leichtfertige Versprechungen im Wahlkampf völlig fehl am Platz, denn in den Städten und Gemeinden wird eine kommende Erhöhung der Abgaben an den Landkreis bald zu spüren sein und dann wird sich die Frage nach der politischen Verantwortung stellen.

Kann der weitere Ausbau der Verkehrsinfrastruktur hilfreich sein?
Für das Chemiedreieck sehen wir BündnisGrüne im Bahnausbau noch einen großen Ausbaubedarf in Richtung Freilassing bzw. Salzburg und über München in Richtung Norden und als zweispurige und elektrifizierte Variante. Dass von den Behörden noch genauer hingeschaut werden muss, zeigt auch das Beispiel Lärmschutz an der A94; hier sollte das Wohl der betroffenen Bevölkerung stärker beachtet werden. Eine Resolution im Kreistag für mehr Lärmschutz an der A94 haben wir Grünen im Kreistag bereits beantragt.

Und wie steht es mit dem ÖPNV?
Der ÖPNV muss über die Landkreisgrenzen hinaus für ganz Südostbayern organisiert werden, nicht nur Richtung München. Als ersten Schritt sehen wir die Notwendigkeit, die bestehenden Linien mit Schüler- und Seniorentickets besser auszulasten und die Anbindungen der unterschiedlichen Verknüpfungspunkte abzustimmen. Dafür brauchen wir ein besseres und attraktiveres Angebot der öffentlichen Verkehrsmittel, sichere und komfortable Infrastruktur für Fahrräder, Carsharing-Angebote und eine gute Vernetzung aller Verkehrsmittel. Außerdem unterstützen wir ergänzende Angebote wie Bürgerbusse oder Anrufsammeltaxis.

Was muss bezüglich der Energieversorgung getan werden?
Bundespolitische Entscheidungen wirken sich wesentlich auf eine leistungsfähige und preiswerte Stromversorgung für die Grundstoffchemie aus. Notwendig erscheint uns eine neue Gestaltung der Abgaben und Steuern für Stromerzeugung und Transport, um mittel- und langfristig die Stromversorgung deutschlandweit nachhaltig umzubauen. Im Bereich der erneuerbaren Energien sehen wir im Ausbau des Innkraftwerks in Töging eine sinnvolle Steigerung der grundlastfähigen Stromversorgung an einem bestehenden großen Flusslaufkraftwerk.

In den überregionalen Schlagzeilen ist der Landkreis wegen PFOA geblieben. Wie stellt sich der Sachstand aktuell für Sie dar?
Trinkwasser: „Es muss das Verursacherprinzip greifen“Die Kontamination des Grundwassers und des Bodens wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen und bedarf einer koordinierten Zusammenarbeit der Beteiligten, auch der übergeordneten Behörden, um von dem nachsorgenden Prinzip hin zu einer vorausschauenden Umweltpolitik umzuschwenken. Die Leitwerte müssen deutlich gesenkt werden, um Kinder und Jugendliche zu schützen. Das Bodenmanagement sollte zeitnah vorgestellt werden; wie beim Trinkwasser muss das Verursacherprinzip greifen.

Wasserschutzmaßnahmen müssen Ihrer Meinung noch weitergehen. Was ist zu tun?
Auch beim Trinkwasserschutz müssen die beteiligten Behörden zusammen mit den Landwirten und den Kommunen neue Konzepte für einen flächendeckenden Boden- und Trinkwasserschutz erarbeiten: größere Wasserschutzgebiete sind dafür eine Grundlage. Die Zusammenarbeit mit der TU München und der Ökomodellregion bieten die Möglichkeit im Landkreis mittelfristig ein Kompetenzzentrum aufzubauen; weitere Maßnahmen sind Öffentlichkeitsarbeit und Knowhow-Transfer. Damit in Zukunft die Sicherheit der Trinkwasserversorgung und der Natur im Landkreis gewährleistet ist, möchten wir Grünen eine Stärkung des Landratsamtes als Aufsichtsbehörde in den Bereichen Anlagengenehmigung sowie Umwelt- und Gewässerschutz erreichen. Transparenz beim Umwelt- und Trinkwasserschutz im Landkreis und die Umsetzung des Volksbegehrens Artenvielfalt sind zentrale Zukunftsthemen.

Die Biotonne ist auch ein grünes Thema. Diesbezüglich gab es ei-ne Verwaltungsgerichtsentscheidung gegen den Landkreis. Wie beurteilen Sie die Situation, was ist weiters zu tun?
Als Chemiestandort mit Verbindungen zur TU München sehen wir auch auf diesem Feld Möglichkeiten der Kooperation, wie wir etwa in Zukunft mit unserem Abfall nachhaltig umgehen, z.B. wertvolle Rohstoffe sichern oder sinnvoll verwerten. Die Biotonne juristisch zu lösen oder den hohen Anteil an ,Restmüll‘ zu verbrennen, kann nicht das Ziel sein. Biomüll sollte als Wertstoff mehr in den Mittelpunkt rücken.

Und über den Wahlkampf hinaus: Was wünschen Sie dem Landkreis und seinen Bürgern für das neue Jahr – oder weiter geschaut: das neue Jahrzehnt? Und welches sind Ihre persönlichen Wünsche für Ihre Familie und Sie selbst?
Allen im Landkreis lebenden Menschen wünsche ich einen guten Start in ein friedliches, gesundes und glückliches neues Jahr 2020, dies gilt gleichzeitig auch für das gesamte neue Jahrzehnt, in der Hoffnung, in einer intakten Umwelt ein gutes, soziales Miteinander aufrechterhalten und verwirklichen zu können, für einen lebendigen und lebenswerten Landkreis. Anlässlich der anstehenden Kommunalwahlen und meiner Kandidatur zur Landrätin wünsche ich mir einen fairen und sachlichen Wahlkampf. Für meine Familie natürlich Gesundheit und die Fähigkeit, weitsichtig und nachhaltig zu handeln und zu leben. Generell gilt für mich das Motto global denken, lokal und sozial handeln – weil wir hier leben.
Interview: Erwin Schwarz