27. April 2019

Hauptsache wählen gehen

Altötting. Zwei Männer sind es, die Henrike Hahn am Donnerstag den Tag versüßen. Gestandene CSUler, welche die Grünen für ihren Einsatz für den Artenschutz in höchsten Tönen loben. Noch Stunden später ruft das Erlebnis bei der bayerischen Spitzenkandidatin für die Europawahl ein breites Lächeln hervor. Daran ändert auch ein postwendend folgender Dämpfer in Altötting nichts.

Wahlkampf in Mühldorf, Infostand in Altötting, danach Kundgebung – Henrike Hahn ist mitten drin im Ringen um einen Posten im Europäischen Parlament. Vier Wochen vor den EU-Wahlen kennt ihr Terminplan nur noch ein Thema. Wobei: Wirklich in den Vordergrund stellt sie weder sich selbst noch ihre Partei. Die Wahl an sich ist es, welche die in der Nähe von München aufgewachsene 48-Jährige als Mittelpunkt sieht. „Das Wichtigste ist, die Leute gehen wählen. Wenn sie dann noch grün wählen, ist das natürlich umso besser“, sagt sie, während sie am Altöttinger Wochenmarkt Flyer verteilt und das Gespräch mit Passanten sucht. Die zeigen sich weitgehend gesprächswillig. Kein dummer Spruch von der Seite, wie ihn sich die als „Allesverbieter“ verschrienen Grünen in der Vergangenheit schon haben anhören müssen. Ja, aktuell mache es wirklich Spaß, grün zu sein, sagt Henrike Hahn denn auch gut gelaunt und macht weiter bei ihrer Mission, den Bürgern die Vorzüge Europas zu erklären. Nicht die ewige Leier vom Friedensprojekt und der Reisefreiheit, sondern Beispiele, anhand derer sie jedem Einzelnen erklären will, wo Europa im Alltag eine Rolle spielt, angefangen vom öffentlichen Nahverkehr bis hin zu Wasserschutz- und Schadstoffrichtlinien. Dass Europa zwar jeden betrifft, aber Ottonormalbürger nur bedingt interessiert, muss Henrike Hahn im Anschluss an den Wochenmarkt feststellen.

Eigentlich wäre im „Barbarossa“ eine einstündige Kundgebung angesetzt, doch im Nebenzimmer herrscht gähnende Leere. Kein einziger Zuhörer hat sich eingefunden. An der Motivation der Grünen-Spitzenkandidatin ändert das nichts. Sie sprüht auch vor leeren Stühlen vor Begeisterung für ihre Sache. Europa verbessern, ein neues Europa errichten, Europa wieder mit Leben versehen – das ist es, was sie umtreibt. Wobei sie einen ihrer Schwerpunkte auf die Verbindung von Ökologie und Ökonomie legen will. Als langjährige Unternehmensberaterin hat sie, anders als so mancher in ihrer Partei, keine Berührungsängste mit Wirtschaft und Industrie. Dass energieintensive Unternehmen wie Wacker Bauchschmerzen mit Energiewandel und Co. haben, kann Hahn verstehen. Doch würden sich damit verbundene Investitionen langfristig auch bezahlt machen, „schließlich ist nichts teurer, als sich nicht um den Klimaschutz zu kümmern“, sagt sie. Zumal sie die Erfahrung gemacht habe, dass es nicht vorrangig neue Vorgaben sind, welche die Unternehmen stören – nur bräuchten sie dabei Planungssicherheit. Anders als viele Europa-Skeptiker sieht Henrike Hahn die EU nicht als Hemmnis, sondern selbst im praktischen Alltag als Bereicherung.

Gerade bei Themen wie Klima-, Umwelt- und Artenschutz sei das Europäische Parlament oft deutlich mutiger als viele Länderregierungen oder auch der aus den Staats- und Regierungschefs gebildete Europäische Rat. Entsprechend fordert die Kandidatin mehr Kompetenzen für das Gemeinschaftsparlament, etwa in Bezug auf das Initiativrecht des Gremiums. Als Grüne wolle sie für mehr Europa eintreten, sagt sie – wobei die Partei schnell wieder in den Hintergrund rückt. Denn am wichtigsten sei es doch, dass die Bürger überhaupt zur Europawahl am 26. Mai gehen. Eines dürfe schließlich keinesfalls passieren: dass Europa den Rechtspopulisten überlassen wird. – ckl